Die Atmosphäre wurde schon immer als scheinbar grenzenlose Abfalldeponie betrachtet, genau so wie Boden/Grundwasser, Flüsse, Meere.
Was dabei half: der Verdünnungseffekt. Es dauert sehr lange, bis man den Schaden erkennen, d.h. sehen, riechen und schmecken kann. (Wissenschaftliche Erkenntnisse gehen dem meist Jahrzehnte voraus).
Das Problem: Wenn der Schaden erkennbar wird, ist es meist zu spät und sehr teuer, um ihn in absehbarer Zeit zu reparieren. Vor diesem Problem stehen Politiker und BürgerInnen, die selten in langen Zeiträumen, d.h. nachhaltig denken, geschweige denn handeln.
Nun ist letztendlich auch die größte Deponie, die Atmosphäre in den Fokus gerückt. Dabei mussten zwei extrem trockene Sommer in Folge helfen. Nun spürt man, was es bedeutet, im Sommer bei 40° in einer Etagenwohnung ausharren oder arbeiten zu müssen, wenn dunkle Rauchwolken von brennenden Wäldern wochenlang über Villen ziehen, der Asphalt auf Autobahnen aufweicht, Ernten verdorren und – tatsächlich – in manchen Regionen Deutschlands das Trink- und Grundwasser knapp und rationiert wird.
Was bei unseren Flüssen und Bächen, den kleinsten Großdeponien, schon teuer wurde (Bau von Kläranlagen, Trinkwasseraufbereitung, Gewässerrenaturierung…) und bisher nur mittelmäßigen Erfolg zeigte (Nitrat im Grundwasser, immer noch unbefriedigender ökol. Zustand unserer Fließgewässer), erscheint z.B. bei der Meeresbelastung schon kaum noch reparabel.
Nun muss man, in Europa zumindest, nicht in Flüssen schwimmen, von Fischen leben, aus Bächen trinken und die Landwirtschaft in Deutschland produziert mehr, als wir verbrauchen und exportiert große Mengen ins Ausland. So weit, so beruhigend.
Beim Klima ist das etwas anderes. Es trifft (fast) jeden, ob er am Meer oder in den Bergen, auf dem Dorf oder in Städten lebt, in Europa, Amerika oder im fernen Osten, arm oder reich ist.
In Asien (Monsunregen), aber auch bei uns sind es zunehmende Überschwemmungen zu ungewohnten Zeiten. Dann folgen Waldbrände und (zu) lang anhaltende Trockenheit. Nicht nur in Afrika.
Plötzlich verdorren die Bäume und Stauden, man kommt im Sommer mit dem Tränken kaum noch nach (Fichten und Buchen sind als Flachwurzler besonders betroffen). In weiten Teilen Deutschlands ist der Boden bis in 1,8 m Tiefe ausgetrocknet (siehe Abb.), was die nächsten Jahre nicht mehr ausgleichen können, selbst wenn sich die Jahresniederschläge wieder „normalisieren“ sollten.
Die hitzegeplagten Städter, die nicht einen schattigen Garten ihr Eigen nennen, strömen in Sommer in die Freibäder und Grünanlagen, die dann völlig überlastet sind, so wie jüngst in Düsseldorf und im Stadtwald Rheydt.
Wer ins Auto steigt, steigt in einen Backofen. Wer per Rad oder zu Fuß unterwegs ist, spürt besonders, dass der Körper auf Luftschadstoffe bei 35°C anders reagiert als bei 20°C (wobei Ozon eine nicht unwesentliche Rolle spielt). Dies betrifft in besonderem Maße Kinder und Senioren in schlecht belüfteten, wenig begrünten Innenstädten.
Das ist der Unterschied beim Klimadesaster: Jetzt spürt es (fast) jeder. Es tut weh, es beeinträchtigt unseren Alltag massiv, es ist nicht mehr zu übersehen. Das ist wohl auch der Grund, warum das Klima jetzt so plötzlich und so massiv in den Fokus der öffentlichen Diskussion rückt.
Langsam dämmert es den (meisten) Menschen, was das bedeutet: nämlich alles. Das Klima hat unmittelbar Einfluss auf Boden und Grundwasser, auf Bäche und Flüsse, auf das Meer, auf unsere Nahrungsmitteversorgung, das Gesicht unserer Städte, unsere gewohnte Mobilität, auf das Bauen, die Arbeitszeiten bis hin zur Seuchengefahr durch Erreger, die bisher nur aus den Tropen bekannt waren.
Die mags, zuständig für den Erhalt des städtischen Grüns, kündigt schon an, dass die Fälllisten für städtische Bäume sich enorm verlängern werden und man noch nicht genau weiß, wie das Stadtgrün der Zukunft aussehen muss, um längere Trockenheit zu überstehen.
Aus dem Forstbereich hört man, dass der Holzpreis angesichts der absterbenen Fichten, Buchen und Eschen im Keller ist. Auch hier rätselt man, was in Zukunft stattdessen angepflanzt werden kann.
Verkehrsexperten spielen Szenarien durch, was es für die Schifffahrt bedeutet, wenn die Alpengletscher demnächst abgeschmolzen sind, die im Sommer für den größten Teil des Abflusses im Rhein verantwortlich sind (die Überschwemmungen im Frühjahr kennen wir ja schon).
In Nordamerika rätseln Forscher darüber, wann genau der riesige, fossile Grundwasserspeicher (Ogallala-Aquifer) unter der Kornkammer des Mittleren Westens, aus der nach China der größte Teil der Weltgetreideproduktion stammt (und 75 % der EU-Sojaimporte als billiges Tierfutter für die Massenproduktion) und der seit Jahrzehnten ohne nennenswerte Neubildung abgepumpt wird, am Ende versiegt. Sicher ist nur: es passiert noch in diesem Jahrhundert.
Bewässerungsfeldbau in Nebraska – Steppenbegrünung auf Zeit
Wenn man alles durchspielt und zusammenfasst, was da auf uns zukommt, merkt man schnell: es ist längst nicht nur der Anstieg des Meeresspiegels! Es sind weit mehr existentielle Dinge, die auch uns in Mönchengladbach treffen werden.
Aus der derzeitigen Diskussion wird auch deutlich, was das in einer Gesellschaft bedeutet. Die notwendigen Gegenmaßnahmen, die praktisch fast alle Bereiche unseres Lebens betreffen, müssen massiv und einschneidend sein und helfen dann inzwischen auch nur noch, das Schlimmste zu verhindern. Viele der Entwicklungen, die wir jetzt mit Sorge betrachten, sind schon nicht mehr umkehrbar.
Jeder Einzelne, jede Lobbygruppe, jede politische Partei ist von Einschränkungen, Verboten, höheren Preisen, Verknappungen betroffen und wehrt sich gegen unpopuläre und unbequeme Maßnahmen, so gut es geht. Eine politische Partei, die wiedergewählt werden will, muss auf diese Befindlichkeiten Rücksicht nehmen, kann aber andererseits auch nicht die Augen vor den nun absehbaren Konsequenzen des Klimawandels verschließen.
Das bedeutet: alle werden nun etwas tun (müssen), behutsam, schrittweise, langsam – zu langsam wahrscheinlich.
Ich würde viele darum geben, 100 Jahre in die Zukunft sehen zu können, um zu erfahren, wie die Geschichtsschreiber dann im Rückblick über die aufgeklärten, modernen, globalisierten und vernetzten Menschen des 21. Jahrhunderts denken, die viel Geld in die Hand nahmen, um den Mars und die Tiefsee zu erforschen, die Arbeitswelt und Schulen zu digitalisieren, Migranten fern zu halten – und dabei das Wichtigste übersahen.
Für Mönchengladbach bin ich gespannt, wie mutig die Parteien vor Ort mit konkreten Maßnahmen gegen den Klimawandel in den kommunalen Wahlkampf ziehen. Es müssten viele und einschneidende Maßnahmen sein, ob man nun den Klimanotstand ausruft oder nicht.
So sieht der Umweltdezernet das Engagement der Stadt in Sachen Klimaschutz.
Tausende Wissenschaftler warnen vor Klima-Notfall
Im März 2020 konnte sich nun die neue Ratsmehrheit aus SPD, GRÜNE und FDP, unterstützt durch die LINKE, zur Erklärung des Klimanotstandes auch in Mönchengladbach durchringen. Konsequenz: Alle Ratsbeschlüsse müssen zukünftig neben der Finanzwirksamkeit und der Familienfreundlichkeit auch nach ihren Auswirkungen auf das Klima bewertet werden.
Aufbruchtimmung?
„Es gibt nahezu fertige Pläne, über die seit Jahren gesprochen wird, aber noch stehen nirgendwo Kräne. Die Aufbruchstimmung in der Stadt existiert daher bisher nur auf dem Papier, der Bürger jedenfalls bekommt davon optisch bisher jedenfalls nicht viel mit. Denn sichtbare Zeichen der Veränderung in Form von Baustellen gibt es bisher kaum.“
https://rp-online.de/nrw/staedte/moenchengladbach/stadtentwicklung-in-moenchengladbach-viele-grossprojekte-in-der-stadt-geplant_aid-46355393
So kommentiert die Rheinische Post die Aufbruchstimmung, die die GroKo in Mönchengladbach mit ihrem Stadtentwicklungskonzept mg+ seit Jahren verbreiten möchte.
Mit nahezu gleichen Worten könnte man auch den Eindruck kommentieren, den der Umweltdezernent in seiner Laudatio über die Klimaschutzanstrengungen der Stadt in der Ratsvorlage Nr. 4127/IX vom 11.9.2019 verbreiten wollte. In der Vorlage sah sich die Stadt Mönchengladbach genötigt, sich für die Ablehnung des Bürgerantrags zum Ausrufen des Klimanotstandes zu rechtfertigen.
https://www.itk-rheinland.de/ratsinfo/moenchengladbach/Proposal.html?single=1&o=1&order=DESC&pvid=15011#current
Auf 11 Seiten wird dort aufgelistet, wo die Stadt in allen möglichen Bereichen des Klimaschutzes tätig war und ist. Wenn man alles ernst nimmt, was dort steht, dann ist z.B. vor allem die Stadt maßgeblich für den jüngsten Kurswechsel von RWE weg von der Braunkohle verantwortlich und nicht etwa die zahlreichen bundesweiten Proteste, u.a. des BUND.
Im weiteren Text liest man dann häufig die Modalverben „sollen“, „können“, „müssen“, „ist geplant”, von Masterplänen, Konzepten, Zielen, Leitlinien, Kriterien ist die Rede. Konkrete Beispiele der Umsetzung von Klimaschutzzielen, die tatsächlich etwas bewirkt haben, findet man kaum. Heikle Themen wie Citymaut, Anwohnerparken, park&ride-Systeme, die in anderen Städten die Verkehrssituation und das Stadtbild deutlich verbessert haben, werden erst gar nicht angesprochen. Ebenso beim Thema Flächenverbrauch: auch hier wird auf Leitbilder, an denen man sich orientieren wolle und auf Vorzeige-Projekte verwiesen, deren Umsetzung jedoch die älteren Bürgergeneration in MG nicht mehr erleben wird.
Zu Beginn der Verwaltungsvorlage heißt es: „Die Stadt betreibt Klimaschutz nicht symbolisch, sondern seit Jahrzehnten aktiv und konsequent mit deutlichem Effekt auf die bundesweite CO2-Einsparung.“
Wo dies konkret zu welchen Einsparungen und spürbaren Effekten geführt hat? Fehlanzeige.
Am Ende macht der Umweltdezernent dann aber doch deutlich, wie er die Dinge wirklich sieht:
„Statt Verbote auszusprechen, die zudem aufgrund fehlenden Personals nicht überprüfbar sind, setzt die Verwaltung eher auf Aufklärung der Bevölkerung über die Konsequenzen ihres Handelns. Letztlich bleibt es jedoch dabei: Verwaltung und Politik decken nur einen
kleinen Teil der Möglichkeiten CO2-sparenden Handelns ab. Klimaschutz ist in der Hauptsache ein Ergebnis des Verbraucherverhaltes. Wenn nicht jeder klimafreundlich handelt, wird die Erfüllung des 1,5°-Ziels nicht einzuhalten sein.“
Na, da haben die PolitikerInnen in Mönchengladbach ja Glück gehabt: alles richtig gemacht. Wenn die Bevölkerung endlich aufgekärt ist und sich über die Konsequenzen ihres Handelns bewusst wird, sind wir am Ziel. Da kommt es auf Politik und Verwaltung nicht mehr so sehr an.
Dann können die BürgerInnen bei der nächsten Wahl ja auch zuhause bleiben, oder?
Strukturwandel: Jetzt wird es ernst!
Der Kohleausstieg für den Klimaschutz ist beschlossen, die Gieskanne für die Strukturanpassungen der betroffenen Regionen wird bis oben gefüllt (40 Mrd. Euro insgesamt, 10 davon für NRW) – noch rechtzeitg vor den anstehenden Landtags- und Bundestagswahlen. (Manchmal ist so ein Milliarden schweres Hilfspaket erstaunlich schnell geschnürt.)
Auch in Mönchengladbach machen sich PolitikerInnen ihre Gedanken, was denn an Investitionen hier zukünftig sinnvoll und wichtig sein könnte. Von Strukturwandel und riesigen Chancen ist die Rede (https://www.der-lokalbote.de/index.php?id=43&tx_ttnews%5Btt_news%5D=3879&cHash=de28e232fe7c44c07b965ff7489b8167)
Da das Thema Klimawandel/Klimaschutz zur Zeit – nicht ganz zufällig – in aller Munde ist und die Medien beherrscht, zudem ja genau das der Grund für den Kohleausstieg war, sollte man annehmen, da kämen nun wenigstens “auch” konkrete Vorschläge, wie auf den drohenden Klimawandel vor Ort strukturell reagiert werden kann.
Vorschläge, Empfehlungen, Konzepte dazu gibt es inzwischen wie Sand am Meer, vom Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs, Förderung der Mobilität ohne Verbrennungsmotor, energetische Sanierung öffentlicher (und privater) Gebäude, bessere Durchgrünung der Innenstädte bis hin zu der riesigen Aufgabe, Wohnen und Arbeiten wieder näher zusammen zu bringen, um den Pendlerverkehr zu reduzieren, was natürlich auch etwas mit bezahlbarem Wohnraum in Städten zu tun hat.
Nun denkt man ja in NRW nicht erst seit gestern über den anstehenden Strukturwandel nach, auch wenn Mönchengladbach diesen Zug erst im letzten Moment erwischt hat (https://bund-mg.de/moenchengladbach-erwacht/).
Da sollte wohl auch etwas Größeres gegen den Klimawandel anfallen, denkt man sich so. Dann liest man, was führende Politiker aus CDU und SPD, zusammen etwas übertrieben GroKo genannt, dazu einfällt (https://rp-online.de/nrw/staedte/moenchengladbach/moenchengladbach-hilfen-fuer-strukturwandel_aid-37287301) und muss es mehrmals lesen, um es zu glauben: “…Ausbau der A52 und der A61, den wir schon lange er-warten…”. (Konkreter wird es nicht mehr).
Wer weiß, was so ein Straßenausbau (auf 3 oder mehr Spuren – wie viele sollten es denn sein?) kostet, welcher planerische Aufwand dahinter steckt, wie lange so etwas dauert, der weiß – eigentlich – auch, wie viel der 10 Mrd. Euro dann für andere Projekte fehlt!
Wie laut müssen eigentlich die Glocken läuten, damit Politiker sie hören und aus Fehlern der Vergangenheit lernen?
Faktencheck:
Eine SPIEGEL-Auswertung des Entwurfs zum Bundesverkehrswegeplan 2030 ergab: die Ausgaben bei zehn Neu- und Ausbauvorhaben beliefen sich auf mindestens 50 Millionen Euro pro Kilometer. Als Faustregel unter Verkehrsexperten gilt, dass ein Kilometer Autobahn im Schnitt rund zehn Millionen Euro kostet.
Stand der Erhebung war jeweils der 1. Januar. In Deutschland befindet sich eines der weltweit dichtes-ten Autobahnnetze. Anfang des Jahres 2014 betrug die Gesamtlänge des Autobahnnetzes in Deutsch-land rund 12.900 Kilometer. Im Jahr 2018 waren es rund 13.000 Kilometer, fast 40 davon In Mön-chengladbach.
https://www.bund.net/themen/mobilitaet/infrastruktur/fernstrassen/
Studien zeigen zudem:
Mehr Fernstraßenausbau führt keineswegs zu weniger Staus, eher im Gegenteil, und lockt auch keine zusätzlichen Unternehmen an. Das sind Mythen, die bei näherer Betrachtung in sich zusammenfallen.
https://mobilitymag.de/fuehren-mehr-spuren-zu-weniger-stau-induced-demand/
http://vorort.bund.net/verkehr/themen/themen_7/files/2907_kongressreader.pdf